Können wir vom Savoir vivre aus Frankreich etwas lernen?
Das deutsche Gesundheitssystem steht unter enormem Druck: Wir kämpfen nicht nur mit einer alternden Gesellschaft, sondern auch der steigenden Zahl chronischer Krankheiten. Gleichzeitig sind 100.000 Pflegekraftstellen in Deutschland unbesetzt. Das ist nicht nur ein deutsches Problem – viele Länder weltweit stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Darum ist es für uns bei Lindera besonders spannend zu sehen, welche Lösungsansätze unsere Nachbarn verfolgen.
Durch ein Angebot des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) konnte ich kürzlich mehr über die Digitalisierung der französischen Gesundheitsbranche lernen. Gemeinsam mit insgesamt acht deutschen Startups traf ich im Rahmen der Deutschen Leistungspräsentation an drei Tagen viele Experten der digitalen Gesundheitswirtschaft in Frankreich.
Ich erhielt dabei spannende Einblicke in die Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie Chancen und Herausforderungen des deutschen und französischen Gesundheitsmarktes. Meine wichtigsten Erkenntnisse möchte ich gern mich euch teilen.
Frankreich und Deutschland – Brüder im Geiste
So viel sei zu Beginn gesagt: Die Probleme, mit denen wir in Deutschland und Frankreich zu kämpfen haben, ähneln sich – von den Folgen des demografischen Wandels über den Ärztemangel in ländlichen Regionen bis hin zum Pflegenotstand. Auch in Frankreich steht die Digitalisierung der Gesundheitsbranche noch am Anfang, insbesondere in Bezug auf die Einführung altersgerechter und pflegeunterstützender Technologie.
Das voll-vernetzte Seniorenheim – die Zukunft der Pflege?
Doch neben diesen eher traurigen Gemeinsamkeiten gibt es auch einige Unterschiede. Besonders offensichtlich ist das bei unserem Besuch im Seniorenheim Castel Voltaire westlich von Paris geworden: Die erst Anfang des Jahres eröffnete Einrichtung des deutschen Pflege- und Betreuungsdienstleisters KORIAN gilt in Frankreich als Musterbeispiel für die Integration von technologischen Lösungen in Pflegeheimen.
KORIAN, einer unserer größten Kunden in Deutschland, bietet Senioren beispielsweise die Möglichkeit, einfach per Knopfdruck vom Bett aus mit Familienangehörigen über Videotelefonie und Messenger zu kommunizieren. Die Beleuchtung und Temperatur der Zimmer sowie die Öffnung der Rollläden regeln sich automatisch über eine Smart-Home-Lösung, die an die individuellen Bedürfnisse der Bewohner angepasst wird.
Die digitalen Technologien, die in Castel Voltaire genutzt und getestet werden, helfen sowohl den Bewohnerinnen und Bewohner als auch den Pflegefachkräften. Sie vereinfachen die kleinen Dinge im Alltag und geben den älteren Menschen so ein Stück Selbstbestimmung zurück. Auffällig ist, dass Technologie in der Einrichtung vor allem genutzt wird, um Wohlbefinden, Sicherheit und Komfort der Bewohnerinnen und Bewohner zu erhöhen.
Das spiegelt sich nicht nur in der digitalen Ausstattung des Seniorenheims wider, sondern auch in der Gestaltung des Hauses. Hier erinnert nichts an die Sterilität eines Krankenhauses, der Eingangsbereich gleicht vielmehr einem Hotel. Es ist deutlich spürbar: Castel Voltaire möchte ein Zuhause und keine Einrichtung sein.
Savoir vivre? Ja – und nein.
Das Seniorenheim ist ein großartiges Beispiel dafür, wie einfach und direkt technologische Lösungen die Lebensqualität älterer Menschen verbessern können. Doch leider fehlt darüber hinaus die innovative Nutzung von Technologien, etwa in der Therapie oder Pflegeprozessen. Mit Ausnahme eines selbstspielenden Klaviers für die Therapie Demenzkranker werden die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz und Co. für die Pflege und die offensichtlichen Herausforderungen der Branche nicht ausgeschöpft.
Es waren drei spannende Tage mit vielen neuen Eindrücken und Kontakten. Mein Fazit: Auch in Frankreich bleiben die drängenden Fragen des Gesundheitssektors bislang unbeantwortet. Was wir von unseren Nachbarn lernen können, ist das „Savoir vivre“ – auch im Alter. Es war toll zu sehen, wie bereits relativ einfache digitale Lösungen die Lebensqualität von Senioren erhöhen und ihnen mehr Selbstbestimmtheit im Alltag zurückgeben können.
Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs: Für die Zukunft brauchen wir viel mehr technologische Innovationen, die die Prozesse in der Pflege und anderen medizinischen Anwendungsfeldern in die digitale Ära bringen – um Fachkräfte zu entlasten, die Qualität der Gesundheitsversorgung zu erhöhen und vor allem die Potenziale neuer Technologien im Sinne der Menschen zu nutzen.