Deshalb wird New Work (Neues Arbeiten) in der Pflege immer wichtiger: 2021 zählte Deutschland 4,6 Millionen Pflegebedürftige in der ambulanten und stationären Pflege – Tendenz angesichts des demografischen Wandels steigend. Schon heute fehlen uns rund 376.000 Pflegekräfte.
Der Fachkräftemangel macht deutlich, dass wir in der Altenpflege umdenken müssen, um Nachwuchskräfte zu gewinnen und qualifiziertes Personal zu halten. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir über die bestehenden Arbeitsstrukturen nachdenken, um einen attraktiven Arbeitsplatz mit Perspektive zu schaffen. Abseits von flexiblen Arbeitszeiten hält New Work vielversprechende Maßnahmen bereit, um die Arbeitsbedingungen wieder auf die Bedürfnisse von Pflegenden auszurichten und Raum für Potenzialentfaltung zu schaffen.
Wie New Work in der Pflege Anwendung findet, haben wir hier für euch zusammengefasst.
Das Image der Pflege hat sich in den letzten 10 Jahren zum Negativen verändert. Pflegekräfte sehen sich mit wirtschaftlichen Fragen konfrontiert und müssen immer häufiger Berufsethik mit ökonomischen Zielen vereinbaren. Pflegerische Leistungen müssen abgearbeitet werden, und dass aufgrund des Zeit- und Personalmangels so effizient wie möglich.
Die wirtschaftlich orientierte Führung und die gestiegene Arbeitsbelastung machen das Berufsbild der Pflege unattraktiv. Gleichzeitig passiert in puncto Weiterentwicklung des Pflegebilds wenig bis gar nichts – viele Arbeitsstrukturen sind starr und lange überholt und es fehlt eine Perspektive für die Zukunft der Pflege. Das sorgt für Frust und Antriebslosigkeit bei Pflegekräften.
Was fehlt, sind Mitgestaltungsmöglichkeiten für die Mitarbeitenden. Genau hier setzt das Konzept von New Work an: es bietet mehr Entfaltungsmöglichkeiten, aber auch mehr Verantwortung, die das Berufsbild und die Karriere in der Pflege deutlich abwechslungs- und aussichtsreicher gestalten.
Neues Arbeiten: Was ist New Work überhaupt?
Per Definition ist New Work „ein Denkansatz und eine Bewegung zugleich. Ziel ist ein Wandel des Verständnisses und der Ausgestaltung von Arbeit in der Praxis“ (Hackl, B., Wagner, M., Attmer, L. & Baumann, D., 2017).
Während das klassische Arbeitskonzept durch hierarchisch organisierte Strukturen und starre Prozesse geprägt ist, stellen wir uns beim New Work-Ansatz neue Fragen:
- Wie muss ich meine Arbeit gestalten, damit sie mich erfüllt?
- Wie möchte ich zukünftig arbeiten, mich selbstbestimmt einbringen?
- Worin liegt überhaupt das individuelle Potential jedes Einzelnen?
New Work setzt dabei an vielen Stellen des bisherigen Arbeitsalltages an und kratzt an „So haben wir das schon immer gemacht“-Strukturen. Das ist für viele beängstigend. Doch Studien über diverse Branchen hinweg überzeugen: Sie belegen, dass die Wertschätzung der Arbeit, die übertragene Verantwortung, Arbeitsergebnisse, Karrieremöglichkeiten und die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten über Wissens- und Kompetenzaufbau wesentlich zu mehr Zufriedenheit beitragen.
Und genau darum geht es: New Work stellt eine hohe Arbeitsmotivation in den Mittelpunkt. Dafür sorgen diverse Faktoren, zu denen gute Arbeitsbedingungen, Vergütung, ein gutes Verhältnis zur Führungskraft und eine faire Unternehmenskultur gehören.
New Work in der Pflege? Liebe Pflegeleitungen: So geht’s!
Pflegekräfte haben ihren Beruf der persönlichen Erfüllung wegen gewählt. Sie wollen Menschen helfen, einen Sinn stiften. Daher ist es wesentlich, die Arbeitsstrukturen innerhalb einer Pflegeeinrichtung so zu organisieren, dass eine erfüllende und attraktive Arbeit zurück in den Mittelpunkt rückt.
Für eine engagierte Gestaltung der pflegerischen Aufgaben im Sinne von Neuem Arbeiten braucht es Freiräume für die Pflegekräfte, sich mit Handlungsvorschlägen einzubringen und kreativ zu sein. Die Pflegeleitung hat dabei die Aufgabe, ein vertrauensvolles und inspirierendes Arbeitsumfeld zu schaffen.
Dazu gehört: viel offene Kommunikation. Das Einbinden der Pflegekräfte in Entscheidungsprozesse schafft Transparenz, das Übertragen von Handlungsfreiheit und Eigenverantwortung und bietet ihnen die Möglichkeit Arbeitsabläufe mitzugestalten.
Wertschätzung der Pflegekräfte durch Vertrauen, einen neuen Arbeitsstil und flache Hierarchien
Flache Hierarchien und interdisziplinäres Zusammenarbeiten auf Augenhöhe tragen dazu bei, Dienstwege zu verkürzen und ermöglichen einen direkten Austausch zwischen Mitarbeitenden und Kolleg*innen aus anderen Fachbereichen.
Fragen können schneller geklärt werden und ein auf die Bedürfnisse von Senior*innen abgestimmtes, flexibleres Arbeiten steht im Vordergrund. Feedback-Gespräche, bei der sich Pflegeleitung und Pflegekräfte offen austauschen, bilden zusammen mit gegenseitigem Vertrauen und der Möglichkeit individueller Weiterbildungsmöglichkeiten die Basis für ein attraktives Arbeitsumfeld, in dem Wertschätzung gelebt wird.
Co-Kreation beschreibt dabei einen Arbeitsansatz, Mitarbeitende zu befähigen, Lösungen selbstständig im Team zu erarbeiten – ohne Vorgabe oder Einwirken durch einer Pflegeleitung. Die Führungskraft tritt bei der Selbstorganisation in den Hintergrund.
Sie schafft lediglich die Rahmenbedingungen für selbstbestimmtes, angenehmes Arbeiten. Teilautonome Teams – beispielsweise innerhalb der einzelnen Schichten – organisieren sich und die täglich anfallen pflegerischen Aufgaben selbst. Im Ergebnis stehen eine höhere Zufriedenheit, mehr Einfluss und mehr Arbeitserfolge.
Digitalisierung und neue Technologien rücken Betreuungszeit zurück in den Fokus
Arbeitsabläufe, die früher mit viel Aufwand verbunden waren, laufen dank digitaler Innovationen nun mit wenigen Klicks. Standortübergreifende Zusammenarbeiten sind kein Problem mehr, Wissensteilung und Vernetzung gewinnen immer mehr an Bedeutung.
In der Pflege tragen neue Technologien und digitale Pflegeanwendungen dazu bei, administrative Arbeiten zu entlasten und die Qualität der Versorgung hochzuhalten – und zu verbessern. Indem intelligente Lösungen bei der Mobilisierung und Versorgung von Pflegebedürftigen helfen, Therapiemaßnahmen unterstützen und automatisch in die Pflegedokumentation übertragen, schaffen sie mehr Zeit für die pflegerische Betreuung.
Das zahlt auf ein erleichtertes Arbeiten ein und bringt Spaß. Am Ende profitieren Pflegende wie Gepflegte – unabhängig von Schicht, Fachbereich und ambulanter oder stationärer Einrichtung – von einem entlasteten, entschleunigten und erfüllten Arbeitsumfeld. Lindera verhilft in der Pflegebranche schon jetzt zu mehr Selbstbestimmung sowie einer höheren Pflegequalität. Hören Sie dazu unser Expertenpanel auf YouTube.
New Work in den Niederlanden nach dem Prinzip der Nachbarschaft: Buurtzorg
Das wohl bekannteste Beispiel von New Work in der Pflege ist das niederländische Unternehmen Buurtzorg (zu Deutsch: Nachbarschaft). Unter dem Leitsatz „Menschlichkeit vor Bürokratie“ liefert Buurtzorg einen völlig neuen Ansatz, wie wir Pflege in einer stark alternden Gesellschaft effektiv und menschlich organisieren können.
Bei Buurtzorg arbeiten die Pflegekräfte in kleinen hierarchiefreien Teams von 4 bis 12 Personen und organisieren sich innerhalb dieser Teams selbstständig. Sie entscheiden selbstständig über Dienstplan, Budget und Maßnahmen. Idealerweise kommen die Teammitglieder aus der gleichen Nachbarschaft und kümmern sich um die pflegebedürftigen „Nachbar*innen“.
Dadurch entsteht mehr Verantwortung, aber auch der Raum für die autonome und individuelle Organisation der Einsätze. Im Mittelpunkt stehen die Pflegebedürftigen und eine Pflegeperson als Bezugsperson. Dadurch entsteht eine starke Bindung zwischen Pflegenden und Gepflegten und eine individuelle Pflegesituation, die ganz auf die Bedürfnisse des*der Patient*in angepasst ist.
Den Pflegekräften steht frei, wie sie die Pflegeleistungen organisieren. Sie können die Leistungen selbst erbringen oder das soziale Umfeld oder Ehepartner*innen anlernen. Diese Freiheit entsteht dadurch, dass die Pflegekräfte nicht nach Leistungen, sondern nach Stunden abrechnen.
Bei den Pflegenden als auch bei den Pflegebedürftigen trifft diese Form der Arbeit auf große Zustimmung. Dennoch gibt es auch Pflegekräfte, die sich nicht von Beginn an mit diesem neuen Arbeitskonzept und den neuen Freiheiten zurechtfinden. Und das ist ganz normal – es ist wichtig, eine gute Begleitung zu gewährleisten, Schulungen anzubieten, offen zu kommunizieren und ein offenes Ohr für Mitarbeitende zu haben.
Verantwortung, Selbstorganisation und Akzeptanz für Neues Arbeiten entwickeln sich erst und das geht nur, wenn der Raum für das Ausprobieren gegeben ist.
Quellen und weiterführende Informationen:
Bundesagentur für Arbeit (2022) „Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich“, Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt Mai 2022
Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW (2022) „New Work in der Pflege“
Change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung (2020) „Die New-Work-Innovation in der Pflege: Buurtzorg“
Tagesthemen (2019), „Wie kann Pflege persönlicher werden“
Hentl-Merget, Judith (2020) „Vertrauen statt Kontrolle“, CNE Pflegemanagement, Ausgabe 01/2020, Seiten 4-6
Buurtzorg Niederlanden Homepage: Buurtzorg Nederland
Hackl, B., Wagner, M., Attmer, L. & Baumann, D. (2017) „New Work: Auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt: Management-Impulse, Praxisbeispiele, Studien“ Springer-Verlag.