Warum gelingt es manchen, ihre Lebensqualität auch noch im hohen Lebensalter aufrecht zu erhalten, während andere unter immer stärkeren Verlusten leiden – sei es physisch, kognitiv, emotional oder auch sozial? Diese Frage treibt Entwicklungspsychologen seit mehr als einem Jahrzehnt um. Wenn wir wüssten, was die einen von den anderen unterscheidet, sollte der Weg für mehr Lebensqualität im Alter doch frei sein – oder etwa nicht? Ziel ist es, möglichst viele „gute“ Lebensjahre zu gewinnen und die Anzahl der „schlechten“ Lebensjahre so gering wie möglich zu halten – die Endlichkeit des Lebens lässt sich schlussendlich nun mal nicht umgehen. Soweit die Theorie. Aber wie genau geht das – ein Plus an guten Lebensjahren zu gewinnen?
Eine Schlussrolle spielt hier die individualisierte Pflege. Das bedeutet, dass die individuellen Wünsche, Eigenschaften und Bedürfnisse des Seniors die Basis für Pflegeberatung, Pflegeplanung, und Pflege vor Ort darstellen sollten. Eigenschaften und Bedürfnisse, die eine Person ein Leben lang ausgemacht haben, verschwinden schließlich nicht plötzlich mit Beginn der Pflegebedürftigkeit.
Digitalisierung kann und soll dabei helfen, die Anzahl der guten Lebensjahre zu steigern. Ansätze wie „Smart Home“ liefern bereits viele kreative Lösungen, wie das Leben im eigenen Haushalt länger möglich und sicherer gemacht werden kann. Der intelligente Fußboden erfasst zum Beispiel, wenn in einem bestimmten Zeitraum keine Bewegung in der Wohnung registriert wurde und kann so einen möglichen Sturz schnell melden. Sensoren können erkennen, wenn Routine-Handlungen (z.B., Aufstehen, ins Bad gehen, Anziehen) nicht ausgeführt werden und Angehörige darüber informieren. Ein Trink-Erinnerungsgerät schlägt Alarm, wenn die nötige Trinkmenge nicht erreicht wurde und Angehörige erhalten eine Nachricht per Handy. Das alles ist bereits möglich und nur ein Ausschnitt der digitalen Möglichkeiten, an denen aktuell gearbeitet wird. Der Nutzen solcher Anwendungen kann ungemein groß sein: Senioren können sich zuhause in ihren vier Wänden sicherer fühlen und länger ein selbstbestimmtes Leben führen. Angehörige sind nah an der Pflege ihres Angehörigen dran und werden dabei trotzdem entlastet.
Um die digitalen Möglichkeiten gewinnbringend (im Sinne von besserer Lebensqualität) einsetzen zu können, bedarf es jedoch einer genauen und individuellen Analyse der Bedürfnisse, Kompetenzen, und Lebensumstände des Seniors und seiner Angehörigen. Der Grat zwischen Förderung und Untergrabung von Autonomie durch technische Helfer kann schmal sein und Gleiches trifft auf die Be-und Entlastung von Angehörigen zu, wenn diese über jeden Schritt ihres Angehörigen informiert werden. Hier herrscht in der Branche zurzeit noch Aufholbedarf. Viele Technologien sind zwar schon vorhanden, aber sie finden auf Dauer nur den Weg ins heimische Wohnzimmer, wenn sie sich passgenau in die individuellen Lebenssituationen von Senioren und Angehörigen einfügen. Es muss also die Brücke geschlagen werden, zwischen dem was möglich (neue Technologien) und dem was nötig ist (von Seiten des Seniors und der Angehörigen gewünscht). Die Herausforderung ist es, die Balance zwischen diesen beiden Polen zu finden.
Da sich die Grenzen des „technologisch Machbaren“ in den nächsten Jahren zweifelsohne immer weiter ausdehnen werden, sollte deshalb bei allem Fortschritt vom Menschen und seinen Bedürfnissen aus gedacht werden. Und hier schließt sich der Kreis: Um individuelle Bedürfnisse und vorhandene Möglichkeiten aufeinander abzustimmen, können wiederum digitale Lösungen zielführend und gewinnbringend eingesetzt werden.
Ein Gastbeitrag von Katharina Gerlach
Als Psychologin hat Katharina Gerlach das Lindera Team bei der inhaltlichen Entwicklung des Fürsorge-Tools unterstützt, um Praxis und Forschung miteinander zu vereinen. In ihrem Psychologie-Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin arbeitete sie am Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und forschte im Rahmen ihrer Abschlussarbeit zum Thema Wohlbefinden im hohen Lebensalter.