Vorbild Henning Scherf: Nicht allein, nicht im Heim – alternative Wohnformen

29. Januar 2016 von Diana Heinrichs

Wie viele Henning Scherfs gibt es wohl in Deutschland? Der ehemalige Bremer Bürgermeister lebt seit 1987 in einer WG, genauer gesagt in einer Alters-WG mit zehn Freunden. Damit scheint er immer weniger ein Exot zu sein. Wenn man der Deutschen Seniorenliga glaubt, entkommen immer mehr Witwen und Witwer der Einsamkeit im Einfamilienhaus und dem Pflegenotstand im Altenheim. Denn ein Blick jenseits dieser beiden Wohnformen offenbart eine wachsende Anzahl an Alternativen. Kein Wunder: Der Bedarf an altersgerechtem Wohnraum wächst. Laut dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) leben im Jahr 2030 in Deutschland fast 22 Millionen Rentnerinnen und Rentner. Das sind fünf Millionen mehr als heute. Der Berliner Bauträger Terragon hat errechnet, dass bereits heute 70 000 betreute Wohnungen, also barrierefreie Appartements mit Serviceangeboten, fehlen.
Welches Wohnmodell passt also am besten?
Eine spontane Antwort darauf ist einfach: Es kommt darauf an. Die ausführliche Antwort hält mindestens vier alternative Wohnformen bereit.
Auf gute Nachbarschaft: Betreutes Wohnen in einer Wohnanlage
Seine Selbstständigkeit und Privatsphäre bis ins hohe Alter zu wahren, ist für die meisten ein tiefes Bedürfnis. Gleichzeitig bleiben sie oft in den eigenen vier Wänden allein zurück, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Ein Mittelweg ist die seniorengerechte Wohnlage. Ein vertrautes Umfeld lässt sich schnell schaffen, die Nachbarn sind nur wenige Türen entfernt und Karten zu einer Runde Doppel-Kopf liegen in (fast) jedem Wohnzimmer. Auch spricht die schnelle Hilfe im Notfall durch einen angebundenen Notdienst und der barrierefreie Bau für den Umzug.
Allerdings klingeln an den Türen der Wohnanlagen auch immer mehr ungebetene Gäste an. Die lockere Gemeinschaft der einzelnen Apartments ruft Schnorrer auf den Plan. Meine Oma macht nur noch auf ein vereinbartes Klingelzeichen auf. Auch ist Wohnanlage nicht gleich Wohnanlage. Einige Bauten sind vor mehr als 40 Jahren errichtet worden. Sie kommen mit einfachverglasten Fenstern daher. Auch lassen den Silver Surfern kaum eine Chance, am digitalen Leben teilzuhaben. Internetanschlüsse bieten die Wenigsten. Das Niveau der angebundenen Service-Leistungen für Einkaufshilfen, Fahrdienste oder ambulante Pflege ist zudem sehr unterschiedlich – in der Qualität wie im Preis.
Komm doch auf eine Tasse Kaffee runter: Das Mehrgenerationenhaus
Es klingt fast schon romantisch: Die familienähnliche Einbindung in einem Mehrgenerationenhaus. Man hilft sich gegenseitig. Das soziale Netz ist klein aber engmaschig. Der Austausch zwischen Alt und Jung gehört zum Alltag.
Nur beide Seiten müssen der Typ dafür sein. Der Gegenentwurf zur Selfie-Generation lässt weniger Privatsphäre zu, fordert ein hohes Maß an Engagement und bringt oft auch ein schlechtes Gewissen mit sich. Soll ich Elfriede nicht heute Nachmittag auf eine Tasse Kaffee einladen? Ist die Badewanne in der Einliegerwohnung noch zugänglich oder sollen wir eine Einstiegshilfe anbringen?
Wir raufen uns schon wieder zusammen – trotz Rollentausch: Im Haus der Kinder
Die Kinder sind schon lang aus dem Haus. Doch jetzt geht es nicht mehr alleine. Also holt die Tochter ihre Mutter zu sich. Eine Umstellung für beide Seite. Denn plötzlich kann die Mutter nicht mehr so walten und halten, wie sie es früher mit ihren Kindern gewohnt war. Auch geht das auf Kosten der Privatsphäre beider Seiten. Für viele ist das eine anstrengende aber zu gleich auch herzergreifende Pflicht. Sie könnten es sich nie verzeihen, den Weg mit ihrer Mutter oder ihrem Vater nicht bis ans Ende zu gehen. Das Zusammenraufen ist da nur eine kleine Hürde.
Die Alt-68er haben es vorgemacht: Die Senioren-WG
Wer schon mal in einer WG gewohnt hat, kennt Wohl und Weh des Zusammenlebens. Das gemeinsame Glas Wein am Küchentisch möchte niemand missen, den Putzplan und das WG-Konto schon. Im Alter sieht das nicht viel anders aus. Die enge Gemeinschaft und das selbstbestimmte Leben haben ihren Charme. Auch lassen sich viele Kosten für Geräte wie ein Seniorentablet und Dienste wie die Einkaufshilfe teilen. Nur in einer WG sind die Wände dünn. Auch gehört viel Eigeninitiative dazu, sich die richtigen Mitbewohner und das passende Haus zu suchen. Für Verträge, Reparaturen und Anschaffungen ist jedes Mal ein runder Tisch mit vielen Meinungen nötig.
Weder von dem runden Tisch noch von der Suche nach dem passenden Haus möchte ich mich abschrecken lassen. So ist die WG mein Favorit für ein langes und selbstbestimmtes Leben zu Hause. Nur welche zehn Freunde ziehen dort im Alter mit mir ein? Wie viel Sturheit und Starrsinn verträgt das WG-Leben im Alter? Und welche cleveren Helfern machen uns in Zukunft den Alltag einfacher?