Familien driften auseinander, sobald es um die Pflege von Familienangehörigen, Eltern oder Großeltern geht. Oft nehmen Töchter das Unvermeidliche hin und pflegen, obwohl sie selbst noch berufstätig sind oder kurz vor der Rente stehen.
Was für eine Aussicht: Ein Leben lang selbst geschuftet, Kinder und Job, Haushalt und Freunde unter einen Hut gebracht. Was hat man sich nicht alles vorstellen können, wie man die viele freie Zeit verbringen will, wenn alle aus dem Haus sind. Endlich mehr Zeit für sich selbst zu haben, und nun das: Pflegebedürftigkeit in der Familie.
Keine Frage: Vorbildlich geht man sehenden Auges in die Pflege. Die familiäre Verpflichtung besteht für viele Frauen. Ob nun Pflege zu Hause – ohne pflegende Familienangehörige wäre die Pflegeversicherung längst bankrott – oder im Heim, es ist und bleibt beschämend, wie die Gesellschaft mit alten und insbesondere dementen Menschen umgeht, und wieviel Arbeit an den Töchtern und Enkelinnen hängen bleibt. „Kümmern“ um alte Menschen heißt „Aufopferung“, nichts anderes, weil es um eine 24-Stunden-Rundum-Betreuung geht. Im Ernstfall benötigt man für eine derartige Betreuung drei examinierte Pflegerinnen, im 8-Stunden-Rhythmus. Bei einem durchschnittlichen Stundensatz von 40 € sind das knappe 27.000 € im Monat, was ungefähr dem Ankaufspreis eines Mittelklassewagens entspricht.
Die Pflegeversicherung, unabhängig von der Pflegeklasse, trägt nur einen Bruchteil davon. Da wird schon klar, dass Schwarzarbeit und Grauzone, bestückt mit Pflegern aus dem Ausland immer größer werden. Haushaltshilfen aus Osteuropa beispielsweise dürfen eine 38,5 Stunden-Woche bei Pflegebedürftigen arbeiten, dann sind sie krankenversichert. Eine Haushaltshilfe darf: putzen, waschen und kochen – aber eben nicht pflegen. Wie die Realität ausschaut, wissen wir.
Angst macht sich breit und rüttelt gewaltig an dem Grundvertrauen, was jeder von uns hat: nämlich dann Hilfe zu erhalten, wenn wir diese dringend benötigen. Dafür haben wir schließlich geschuftet und eingezahlt, Tag ein, Tag aus.
Am Wochenende habe ich einem Gespräch im Pflegeheim zugehört. Lebensangst kennen die Bewohner eines Pflegeheims nicht mehr. Sie wissen, dass dies das letzte Bett ist. Wir saßen auf der Terrasse und eine – nicht demente – Heimbewohnerin sagte:
Ja, mir war klar, dass ich zum Ende hin ins Heim muss. Selbstverständlich, ich will ja auch keinem zur Last fallen.
Und ganz unvermittelt:
Ach, meine Tochter kommt heute wieder nicht, wir haben ja schon 15 Uhr.
Der Volksmund sagt: Alte Menschen entwickeln sich rückwärts zum Säugling. Wenn das so ist, warum sind sie dann nicht so zufrieden wie Säuglinge? Ja, warum wohl!