Wann hat das mit den Selfies angefangen? Seit wann strecken wir unseren Arm nach vorn, um Schnappschüsse von uns selbst zu machen? Vor zehn Jahren traf ich einen Italiener in der Piazza Michelangelo von Florenz. Er zeigt mir sein Selfie als Urlaubsfoto aus dem Sommer in Sardinien. In meinem Kopf kreiste die Frage: Sieht so Einsamkeit aus? Er scheint alleine zwei Wochen Urlaub gemacht zu haben. Er hat niemanden gebeten, ihm bei seinem Schnappschuss zu helfen. Spätestens seit dem Selfie von der Oscar Verleihung 2014 haben wir uns an diese eigenartige Fotoperspektive gewöhnt.
Die Folge? Wenn ich jetzt in Fotodatenbanken nach ‚Senioren‘ und ‚Technik‘ suche, erhalte ich vor allem Selfie-Motive. Senioren, die charmant ein Foto von sich oder sich mit ihrer Familie schießen. So soll mir Vitalität und Technikbegeisterung vermittelt werden. Doch mehr und mehr frage ich mich, was sich in zehn Jahren von der schönen florentinischen Piazza bis zu meiner Suchanfrage in der Bilddatenbank verändert hat. Warum ist es erstrebenswert geworden, die eigene Kamera nicht mehr aus der Hand zu geben? Was treibt uns an, so autark leben zu wollen, wo wir doch wissen, dass uns menschliche Kontakte ausmachen? Warum bitten wir nicht ganz selbstverständlich um Hilfe? Klingeln bei den Nachbarn oder wenden uns an Passanten? Wir wissen, dass viele die Angst vor Einsamkeit und Hilflosigkeit im Alter treiben. Wir rüsten uns dagegen. Wir lernen, alleine klar zu kommen.
Nur sollten uns kleine technische Helfer nicht endlich auch zu mehr menschlicher Nähe verhelfen? Können sie uns nicht zu mehr Zeit für die Familie, mehr Geborgenheit im eigenen Heim und zu einem aktiven Alter des Miteinanders bringen? Ist es nicht eine neue Erfahrung, wenn der Enkel dem Opa das Skypen auf einem Tablet mit berührempfindlichen Bildschirm zeigt und so die Verbindung für das Auslandsjahr in Australien schafft? Ist es nicht eine kleine Freude, wenn sich drei Demenzpatienten durch ein therapeutisches Videospiel mit Microsoft Kinect, einer Sensortechnik, navigieren?
Die Antwort lautet „ja, aber“. Alle diese Fragen lassen sich mit „ja“ beantworten. Gleichzeitig müssen wir als Töchter und Enkeltöchter „aber“ auch dafür sorgen, dass die kleinen technischen Helfer mit ihren Funktionen bei der Großmutter ankommen. Es liegt auch an uns, das Tablet, ein Smartphone und das WLan einzurichten. Dass sich das Alte Rom auch in virtuellen Rundgängen über das iPad entdecken lässt, sieht meine Oma dem Tablet nicht auf den ersten Blick an. Dass wir uns als Familie ohne weitere Kosten via WhatsApp Nachrichten schreiben können, hat Opa noch nicht im Radio gehört. Und wie navigiert er sich am besten durch die Bundesliga App? Da hilft kein Selfie, da geht es ums gemeinsame Lernen, Lachen und Ausprobieren. Mit Lindera wollen wir bei der Integration all dieser technologischen Helfer in den Seniorenalltag unterstützen.
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