Sturzprävention im Alter – LINDERA’s WISSENSCHAFTLICHER ANSATZ IN DER PFLEGE

Was bedeutet die Sturzprävention im Alter aus wissenschaftlicher Sicht?

1. Hintergrund – Relevanz der Sturzprävention im Alter 

  • Ein Drittel aller Unfälle ist auf Stürze zurückzuführen [4] 
  • 28-32 % der Menschen ab 65 Jahren und bis zu 42 % der Menschen ab 70 Jahren stürzen jedes Jahr 
  • Ältere Menschen in Pflegeheimen stürzen häufiger als zu Hause lebende 
  • Stürze sind eine der Hauptursachen für Sterblichkeit und Krankheitsfälle bei Erwachsenen ab 65 Jahren 
  • Stürze haben einen großen negativen Einfluss auf die Lebensqualität 

 Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stürzen jährlich ca. 28-35 % der Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr, wobei dieser Anteil bei den über 70-Jährigen auf 32-42 % ansteigt (WHO, 2007). Die Häufigkeit von Stürzen nimmt mit dem Alter und dem Schwächegrad zu.  

Dem deutschen Robert Koch-Institut zufolge ist fast ein Drittel aller Unfälle (29,8 %) auf Stürze zurückzuführen (Varnaccia et al., 2013). In der Altersgruppe der 60-Jährigen und älter ist mehr als die Hälfte der Unfälle (53,7 %) auf Stürze zurückzuführen. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit von Frakturen. Bei 47,2 % der älteren Menschen im Alter von 60 Jahren oder mehr führen Stürze zu Frakturen.  

Ältere Menschen, die in Pflegeheimen leben, stürzen häufiger als in Haushalten lebende ältere Menschen. Ältere Menschen, die zu Hause leben, haben ein Risiko von 27 %, im nächsten Jahr mindestens einmal zu stürzen.

Das Risiko von Mehrfachstürzen in diesem Zeitfenster beträgt 10 % (Balzer et al., 2012). Die WHO berichtet, dass etwa 30-50 % der Menschen, die in Langzeitpflegeeinrichtungen leben, jedes Jahr stürzen, 40 % von ihnen erleben wiederkehrende Stürze (WHO, 2007). Andere Studien berichten sogar von 50-66 % der Bewohner, die jedes Jahr stürzen (Kehinde et al., 2011).  

Unbeabsichtigte Verletzungen sind die fünfthäufigste Todesursache bei Erwachsenen im Alter von 65 Jahren oder mehr (nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Schlaganfall und Atemwegproblemen), und Stürze verursachen zwei Drittel dieser Todesfälle (Deandrea et al., 2013; Kehinde et al., 2011).

Die Todesrate durch unbeabsichtigte Stürze ist bei Menschen im Alter von 75 Jahren und mehr im Vergleich zur Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen wesentlich höher (McClure et al., 2005).

Stürze bei älteren Erwachsenen in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sind eine wesentliche Ursache, wenn nicht sogar die häufigste externe Ursache für Sterblickeit und Morbidität (Cameron et al., 2018; Kehinde et al., 2011; Kim et al., 2017; Pfortmueller et al., 2014).

Stürze in Pflegeheimen führen häufig zu Frakturen, subduralen Hämatomen und Weichteilverletzungen. Oft führen diese Verletzungen zum Tod oder zu einer Behinderung.  

Derzeit ereignen sich in Deutschland jedes Jahr bis zu 5 Millionen Fälle von unbeabsichtigten Stürzen älterer Menschen.

Bis zu 250.000 Menschen erleiden jedes Jahr Frakturen und werden infolgedessen ins Krankenhaus eingeliefert. Eine Oberschenkelhalsfraktur ist bei älteren Menschen die häufigste Diagnose als zugrundeliegende Ursache sturzbedingter Todesfälle.

Hüftfrakturen sind die schwersten sturzbedingten Verletzungen in dieser Altersgruppe, wobei 15 % dieser Patienten im Krankenhaus sterben, 25 % bis 33 % nicht länger als ein Jahr nach ihrer Hüftfraktur überleben und 12 % eine neue Fraktur erleiden (McClure et al., 2005; Neyens et al., 2011; Vlaeyen et al., 2015).

Es hat sich gezeigt, dass ältere Menschen, die eine Hüftfraktur im Krankenhaus erleiden, im Vergleich zu Menschen, die ähnliche Frakturen in der Gesellschaft erleiden, im Allgemeinen schlechtere Ergebnisse erzielen.  

Neben den körperlichen Folgen führen Stürze auch zur psychischen Belastung. Stürze und sturzbedingte Verletzungen wirken sich negativ auf die Selbstständigkeit, das Selbstvertrauen und die Lebensqualität aus (Child et al., 2012; Kim et al., 2017).

Pflegeheimbewohner, die gestürzt sind, können unterschiedlich stark von Sturzangst betroffen sein. Sie könnten das Vertrauen in soziale Interaktionen verlieren und eine schlechte Lebensqualität erfahren (Child et al., 2012).  

Schlussfolgerung 

Erwachsene im Alter von 60 Jahren oder mehr haben ein hohes Risiko zu stürzen. Das Risiko eines Sturzes erhöht sich für ältere Menschen, die in Pflegeheimen leben oder für ältere Erwachsene, die im Krankenhaus liegen. Die Folgen von Stürzen für diese Bevölkerungsgruppe sind sehr schwerwiegend und führen oft zu einer verminderten Lebensqualität, Behinderung oder zum Tod.

Die medizinischen und persönlichen Kosten, die mit der erhöhten Anzahl von Stürzen bei Erwachsenen im Alter von 60 Jahren oder mehr verbunden sind, sind enorm und wachsen mit einer alternden Bevölkerung weiter.

Daher kann die Verringerung des Sturzrisikos die Mobilität fördern, was zu einem längeren und gesünderen Leben führt. Programme zur Bewertung des Sturzrisikos und zur Vermeidung von Stürzen finden daher bei Regierungen weltweit große Beachtung.  

2. Sturzbewertung 

Pflegekräfte sind in Deutschland verpflichtet, das Sturzrisiko zu beurteilen. Die Bewertung des Sturzrisikos und der Sturzrisikofaktoren ist entscheidend für die Auswahl der geeigneten Maßnahmen für jeden Einzelnen. 

Die multifaktorielle Natur von Stürzen kann nur durch eine multifaktorielle Sturzrisikobewertung erfasst werden, die mindestens, aber nicht nur, aus einer Mobilitätsanalyse besteht. Der Sturzrisiko-Noten, die sich aus der LINDERA Mobilitätsanalyse ergeben, ist daher das Ergebnis von: 

  1. Ganganalyse 
  2. dem multidisziplinären Fragebogen  

Die Ganganalyse besteht aus einem Test, der an das Tinetti Performance Oriented Mobility Assessment (POMA-G) angelehnt ist (Tinetti, 1986). Der Teilnehmer wird gefilmt, während er von einem Stuhl aufsteht, 3 Meter geht, sich um 180° dreht, um 3 Meter zurück zu gehen und sich wieder hin zu setzen.

Anhand dieses Videos analysiert der hochpräzise, auf künstlicher Intelligenz basierende Algorithmus Parameter wie den Winkel der Oberkörperneigung nach vorne und nach links sowie weitere Parameter des Gangbildes (Schrittlänge, Schrittzeit, Schrittgeschwindigkeit, Schritthöhe und Schritt-Rythmus), um potenzielle Risikofaktoren zu ermitteln. 

Zusätzlich zu diesen Gangparametern berücksichtigt die LINDERA Mobilitätsanalyse Informationen aus dem multidisziplinären Fragebogen mit folgenden Kategorien, um weitere nachgewiesene Risikofaktoren für die Sturzrisikoprävention zu identifizieren (Expertenstandard Sturzprophylaxe in Der Pflege, 2013 und 2022):  

  • Beeinträchtigung der Beweglichkeit und des Gangbildes   
  • sensorische Defizite und kognitive Beeinträchtigungen  
  • Krankheiten und Medikamente, die zu einer Ohnmacht führen können   
  • Selbstbeherrschung  
  • Extrinsische Risikofaktoren (d. h. Umweltgefahren, Schuhwerk, (ungeeignete) Gehhilfen/Hilfsmittel)  
  • Angst vor Stürzen  
  • Sturzgeschichte  
  • Persönlichkeit  

 Der multidisziplinäre Fragebogen konzentriert sich auf extrinsische und intrinsische Risikofaktoren. Der Fragebogen kombiniert mehrere Screening-Instrumente, um die multifaktoriellen Charakteristika von Stürzen besser bewerten zu können und die Vorteile der einzelnen Instrumente zur Beurteilung des Sturzrisikos zu maximieren.  

 Es werden Risikofaktoren aus den folgenden Instrumenten kombiniert: 

  • STRATIFY Sturzrisiko-Bewertungstool (Oliver et al., 1997) 
  • Hendrich-Sturzrisikomodell II (Hendrich et al., 2003) 
  • Downton Sturzrisiko-Bewertung (Downton, 1993) 

Jeder ermittelte Risikofaktor aus dem Video und dem Fragebogen wird ausgewertet. Die erkannten Risikofaktoren werden von der LINDERA Mobilitätsanalyse gewichtet und zusammengefasst, was zu einem Gesamt-Sturzrisiko-Score führt. Dieser Sturzrisiko-Score reicht von 0 bis 100 %. 

Je mehr Hochrisikofaktoren identifiziert wurden, desto höher ist der Wert des Sturzrisikoscores. Dieser Sturz-Score dient nur zur Visualisierung des persönlichen Sturzrisikos. Der Sturzrisikoscore kann keine Prognose zum Auftreten von Sturzereignisses sein.  

3. Prävention von Sturzrisiken

Die Risikofaktoren werden dem Patienten und/oder dem medizinischen Fachpersonal im Rahmen eines bereitgestellten Sturzrisikoberichts erläutert. Dieser individualisierte Bericht wird multifaktorielle Empfehlungen enthalten, die den identifizierten Risikofaktoren entsprechen.

Die Empfehlungen basieren auf Leitlinien und wissenschaftlicher Literatur, um Sturzrisiken zu reduzieren und die Sturzprävention zu unterstützen. 

Multi-Faktorielle-Sturzpräventions-Programme, die körperliche Übungen und andere Komponenten wie Gefährdungsbeurteilungen und -modifikationen, Operationen, Management von Harninkontinenz, psychologische Interventionen, Umwelt-/Hilfstechnologien sowie Interventionen zur Wissenserweiterung umfassen, sind wirksam bei der Verringerung von Sturzrisiken, der Anzahl von Stürzen, der Angst vor Stürzen und der Verbesserung von Lebensqualität (Billington et al., 2012)

Durch die Verfolgung der Umsetzung von Empfehlungen und durch regelmäßige Bewertungen des Sturzrisiko-Scores sowie der Risikofaktoren passt sich die LINDERA Mobilitätsanalyse an Veränderungen des körperlichen und psychischen Wohlbefindens der Benutzer sowie an Veränderungen in der Umgebung des Benutzers an. Mit einer adaptiven Sturzrisikoprävention im Alter zielt die LINDERA Mobilitätsanalyse darauf ab, das Sturzrisiko zu reduzieren.  

Multifaktorielle Bewertungen können die Zuweisung bestimmter Interventionen wie Physiotherapie, Ergotherapie und Interventionen zur gezielten unangemessenen Medikamenteneinnahme begleiten (Billington et al., 2012). 

4. Eigene Studien und Ergebnisse 

Bereits während der Entwicklungsphase wurden ausführliche Expert:innen-Workshops, Pilotprojekte und Beta-Tests durchgeführt, um die intuitive Handhabung sowie eine praxisnahe Entwicklung des Produkts zu gewährleisten. Seit der Markteinführung werden kontinuierlich Feedback von Anwender*innen und anonyme Nutzungsdaten ausgewertet.

Zudem arbeiten wir zur Evaluation der LINDERA Mobilitätsanalyse deutschlandweit mit unabhängigen Forschungseinrichtungen zusammen. Im Rahmen dieser Kooperationen werden folgende Themenfelder untersucht:  

  • Vergleich der diagnostischen Güte der LINDERA Mobilitätsanalyse im Vergleich mit herkömmlichen Verfahren  
  • Patient*innenzentrierter Nutzen  
  • Verbesserung der Pflege- und Betreuungspraxis  
  • Benutzerfreundlichkeit und Akzeptanz

 
Die zentralen Ergebnisse im Hinblick auf diese Fragen werden in den folgenden Abschnitten zusammengefasst. Eine Übersicht über abgeschlossene, laufende und geplante Evaluationsstudien findet sich weiter unten.  

1. Vergleich der diagnostischen Güte der LINDERA Mobilitätsanalyse im Vergleich mit herkömmlichen Verfahren  

Diagnostische Güte der Gangparameter: Die Messgenauigkeit der Gangparameter wurde im Rahmen einer klinischen Studie in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin belegt und zeigt eine exzellente Übereinstimmung mit dem Goldstandard.

Im Rahmen der Studie mit 44 Proband*innen wurden die mit einem Smartphone erfassten Gangparameter mit den Ergebnissen eines validen Referenz-Systems (GAITRite System, GS) verglichen.

Hierbei handelt es sich um einen „Ganganalyseteppich“ mit Drucksensoren, der Auskunft über räumliche und zeitliche Gangparameter wie der Schrittlänge und der Ganggeschwindigkeit gibt.

In der Studie wurde die Übereinstimmung der GAITRite Parameter mit den Ergebnissen des videobasierten Algorithmus untersucht, welcher der LINDERA Mobilitätsanalyse zugrunde liegt. Für die videobasierte Mobilitätsanalyse wurden die Daten sowohl mittels eines in der Hand gehaltenen Smartphones (SCA Hand) als auch über ein im Stativ befestigten Smartphones erhoben (SCA Stand).

Tabelle 1 zeigt Mittelwerte und Standardabweichungen beider Systeme (GS und SCA) für alle gemessenen Gangparameter unter beiden Bedingungen (Hand und Stand). Die Messungen unter den verschiedenen Bedingungen stimmen in einem hohen Ausmaß überein. Die Mittelwerte und Standardabweichungen (Maß für die Streuung der Werte) unterscheiden sich nicht signifikant vom Referenzsystem.

Das bedeutet: Die Lindera Gangbildanalyse per Video eignet sich genauso gut zur Erfassung des Gangbildes wie das bewährte GAITRite System.  

Tabelle 1. Statistische Vergleiche zwischen GS und SCA (Hand und Stand). Mittelwert und Standardabweichungen werden zusammen mit den Inter-Class-Correlation-Koeffizienten, ICC (2, k), für mehrere Gangparameter angegeben 

 GS SCA Hand SCA Stand 
 Mittelwert ± Std ICC (2, k) Mittelwert ± Std ICC (2, k) Mittelwert ± Std 
Ganggeschwindigkeit (m/s) 1,42 ± 0,32 0,972 1,41 ± 0,32 0,984 1,38 ± 0,32 
Schrittlänge links (cm) 69,58 ± 10,34 0,915 71,07 ± 11,67 0,938 66,14 ± 10,48 
Schrittlänge rechts (cm) 68,85 ± 10,28 0,922 66,88 ± 10,91 0,938 69,05 ± 11,46 
Schrittzeit links (s) 0,501 ± 0,063 0,955 0,516 ± 0,063 0,959 0,491 ± 0,063 
Schrittzeit rechts (s) 0,498 ± 0,062 0,955 0,486 ± 0,060 0,941 0,511 ± 0,059 
Schrittfrequenz (Schritte/Min.) 121.8 ± 14.6 0.989 121,3 ± 13,8 0,987 121,4 ± 13,9 

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist bereits im Rahmen eines Tagungsbandes erschienen (Azhand et al., 2020). Eine vollständige Publikation der Studienergebnisse befindet sich in Vorbereitung.1 

Validität des Sturzgrades als Gesamtrisikoindex: Die Validität des Sturzgrades konnte im Rahmen einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie mit der Charité belegt werden, welche bereits in einem wissenschaftlichen Fachjournal publiziert wurde (Rabe et al., 2020).

Im Rahmen der Studie wurde analysiert, mit welcher Güte der Sturzgrad zwischen Personen differenziert, die in den letzten 12 Monaten vor der Analyse mindestens einmal gestürzt oder nicht gestürzt sind.

Hierbei zeigte sich eine aus 5 statistischen Klassifikationsmodellen gemittelte hohe Sensitivität von 93% des Sturzgrades. Das bedeutet: Anhand des Sturzgrades ließ sich in 93% der Fälle korrekt bestimmen, dass eine Person in den letzten 12 Monaten gestürzt war.

Die Spezifität liegt bei 58%. Das heißt, in 58% der Fälle wurden Personen, die in den letzten 12 Monaten nicht gestürzt waren, anhand des Sturzgrades korrekt als „Nicht-Stürzer“ klassifiziert. Der gemittelte AUC Wert, der die Qualität des Assessments bemisst, liegt bei 0,86. Folglich zeigt der Sturzgrad eine gute Trennschärfe.

Die Werte zur Sensitivität, Spezifität und AUC sind vergleichbar zu bisherigen als valide geltenden Messinstrumenten zum Sturzrisiko (Deandrea et al., 2010). Zusammenfassend, lässt sich festhalten, dass der Sturzgrad ein valides Instrument zur Beurteilung des Sturzrisikos darstellt.  

2. Patient*innenzentrierter Nutzen 

Reduktion des Sturzrisikos: Die LINDERA Mobilitätsanalyse App ist seit August 2018 im Apple App Store und Google PlayStore frei verfügbar. Seitdem kam die LINDERA App bereits in über 70 stationären sowie ambulanten Pflegeeinrichtungen und Pflegeberatungsstellen zum Einsatz.

Im Rahmen dieser routinemäßigen Anwendung ist ein Datensatz mit Mobilitäts-Daten von 223 Patient*innen zwischen 65 und 100 entstanden, für die eine Erst- sowie mindestens eine Folgeanalyse vorliegt. Zwischen Erst- und Folgeanalyse lagen durchschnittlich drei Monate.  

Anhand dieser Anwendungsdaten lässt sich der Nutzen nach wiederholtem Einsatz der LINDERA App beurteilen. Die gegenwärtige Auswertung bezieht Daten aus der Zeitspanne von Februar 2019 bis Dezember 2020 mit ein. Im Zentrum der Auswertung steht die Veränderung des Sturzgrades von Erst- zu Folgeanalyse.  

Der Sturzgrad wird durch die LINDERA App berechnet und kombiniert zwei Komponenten: Der videobasierten, KI-gestützten Gangbildanalyse sowie einem Zusatzfragebogen zu individuellen Sturzrisikofaktoren. Der so entstehende Sturzgrad bildet auf einer Skala zwischen 0 und 100 ab, wie viele Sturzrisikofaktoren bei einer Person vorliegen.

Wie oben beschrieben, stellt der Sturzgrad einen validen Indikator für das tatsächliche Sturzrisiko einer Person dar. Stürze gehen häufig mit erheblichen Verletzungsfolgen einher und können somit zu einem Verlust der Selbständigkeit, Lebensqualität und sozialen Teilhabe führen.

Somit kann der Sturzgrad zugleich als wichtiger Indikator für den Gesundheitszustand einer Person interpretiert werden.  

Von Erst- zu Folgeanalyse zeigte sich eine signifikante Reduktion des Sturzrisikos in Höhe von 11,95 % (von 29,45 auf 25,93 aus 100 möglichen Punkten; vgl. Abbildung 1).

Diese Verringerung wurde mittels einer einfaktoriellen within-person Varianzanalyse auf statistisch Signifikanz untersucht. Dadurch zeigte sich, dass es sich bei der Sturzgradreduktion um einen hochsignifikanten Effekt handelt (F (1,222) = 10,34, p < ,01).  

Abbildung 1:  Reduktion des Sturzgrades zwischen Erstanalyse (rot) und Folgeanalyse (grün)  

In weiterführenden Analysen wurde untersucht, ob die Effekte gleichermaßen unter stationär und ambulant gepflegten Patient*innen bestehen. Wie Tabelle 2 zu entnehmen ist war dies der Fall – in beiden Gruppen konnte eine signifikante Reduktion des Sturzgrades festgestellt werden.  

Tabelle 1. Subgruppenanalyse der Sturzgradreduktion von Erst- zu Folgeanalyse  

 Sturzscore Erste Analyse Sturzscore Nachverfolgung Reduktion in %
Stationäre Pflege 119 29,22 25,86 – 11,5  < , 001  
Ambulante Pflege 104 29,72 26,01 – 12,49  < ,05 
Tabelle 1. Subgruppenanalyse der Sturzgradreduktion von Erst- zu Folgeanalyse

Die Analyse des Sturzgrades weist darauf hin, dass die LINDERA Mobilitätsanalyse signifikant zur Reduktion des Sturzrisikos beiträgt und somit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Gesundheit und Mobilität leistet.

Diese gesundheitsfördernden Auswirkungen der LINDERA Mobilitätsanalyse werden aktuell in zwei großangelegten randomisiert-kontrollierten Längsschnittstudien untersucht. Auf diese Weise lassen sich kausale Schlussfolgerungen über die positiven Effekte der Lindera Mobilitätsanalyse ziehen.  

 Befragungsergebnisse zu patient*innenzentriertem Nutzen. Neben der Auswertung von Appdaten werden in Kooperationsprojekten zwischen LINDERA und Krankenkassen fortlaufend Befragungsdaten von LINDERA Anwender*innen ausgewertet.

Im Folgenden werden zusammenfassend Befragungsergebnisse aus dem Jahr 2019 vorgestellt. In die Auswertung fließen die Angaben von 93 Patient*innen in stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sowie 51 Pflegekräften ein.

Die Auswertung der Fragebogendaten zeichnen ein klares Bild: Die Anwendung der App scheint nicht nur das Sturzrisiko zu senken, sondern birgt auch das Potential, die Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität der Anwender*innen zu steigern und Sturzrisiko-Behandlung stärker auf die individuellen Bedürfnisse auszurichten.

Diese Variablen schaffen die Grundlage für eine selbstbestimmte, partizipierende Mobilität-Förderung.  

Ergebnisse der Befragung vom 93 Patient*innen: 

  • Sturzwissen und Gesundheitskompetenz: 97 % der Befragten gaben an, durch die Lindera Mobilitätsanalyse neue Erkenntnisse zu ihrer Sturzgefahr gewonnen zu haben.
  • Ausrichtung auf individuelle Bedürfnisse: 96 % erkannten sich in den Ergebnissen der Analyse wieder. 78 % hielten die Ergebnisse der Mobilitätsanalyse für verständlich und umsetzbar. 94 % konnten den Verlauf des durch die App ermittelten Sturzgrades nachvollziehen.
  • Wirksamkeit: Unter 72 % der Befragten wurde bereits mit der Umsetzung der von LINDERA empfohlenen Maßnahmen begonnen, 88 % gaben an, die Umsetzung weiterer Maßnahmen sei geplant. 86 % berichteten, nach Umsetzung der Maßnahmen Veränderungen erlebt zu haben, 82 % fühlten sich durch die wiederholte Mobilitätsanalyse sicherer.

    Dies deckt sich mit den Angaben der Pflegekräfte, unter denen 87 % direkte, präventive Auswirkungen der Lindera Empfehlungen auf die Häufigkeit von Stürzen und sturzbedingte Verletzungen berichteten.  

3. Verbesserung der Pflege- und Betreuungspraxis  

Die LINDERA Mobilitätsanalyse wurde ursprünglich für geriatrische Settings entwickelt. Die Erfahrungen von Pflegekräften mit der App zeigen, dass die LINDERA Mobilitätsanalyse zur Optimierung der Pflege- und Betreuungspraxis beitragen kann.

Zur Illustration werden im Folgenden einige Befragungsergebnisse aus dem oben beschriebenen Kooperationsprojekt mit der AOK Nordost exemplarisch dargestellt. Studien zur Übertragbarkeit dieser Effekte auf andere Settings und Leistungserbringende sind in Planung.  

Ergebnisse der Befragung vom 51 Pflegekräften:  

  • Effektivität: 80 % der befragten Pflegekräfte hielten die regelmäßige Überprüfung des Sturzrisikos mittels LINDERA Mobilitätsanalyse für effektiv bzw. sehr effektiv.  
  • Umsetzung der Expertenstandards: 79 % der Befragten Pflegekräfte fühlte sich nach Anwendung der LINDERA Mobilitätsanalyse sicher und unterstützt bei der Anwendung ihrer fachlichen Leitlinien.  
  • Vereinfachung des Pflegealltags: 71 % der Pflegekräfte gaben an, die LINDERA Mobilitätsanalyse vereinfache die Pflegedokumentation.

4. Akzeptanz und Benutzerfreundlichkeit  

Sowohl bei Pflegekräften als auch bei Patient*innen trifft die LINDERA App auf eine hohe Akzeptanz (vgl. auch Rabe et al., 2020).  

Ergebnisse der Befragung vom 93 Patient*innen: 

  • Verständlichkeit: 88 % der Patient*innen gab an, den Appfragebogen problemlos bearbeiten zu können.  
  • Zufriedenheit: 90 % der Patient*innen würden die Mobilitätsanalyse noch einmal durchführen.  

Ergebnisse der Befragung vom 51 Pflegekräften: 

  • Umsetzbarkeit im Pflegealltag: 74 % der befragten Pflegekräfte beurteilt die Handhabung der LINDERA App als einfach.  

5. Fazit und Ausblick auf geplante Studien   

 Die oben beschriebenen Auswertungen bisheriger Daten zeichnen ein positives Bild in den Bereichen Validität, Nutzen/ Wirksamkeit, sowie Verbesserung der Behandlungspraxis.  

Aktuell laufen mehr als zehn Studien mit verschiedenen Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Krankenkassen und wissenschaftlichen Instituten. Diese Studien umfassen sowohl randomisierte kontrollierte Studien als auch Validierungsstudien sowie Akzeptanz- und Wirksamkeitsstudien. Als wissenschaftliche Partner*innen unterstützen die Charité und die Wilhelm Löhe Hochschule LINDERA bei der Studienkonzeption und Datenauswertung.

Im Rahmen zukünftiger Studien wird die Übertragbarkeit bisheriger Befunde, die vornehmlich aus geriatrischen Settings stammen, auf häusliche Settings untersucht. Zudem werden weiterführende Anwendungsfelder für den Appeinsatz erschlossen (Sport, Klinik). 

Referenzen 

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Billington, J., Fahey, T., & Galvin, R. (2012). Diagnostic accuracy of the STRATIFY clinical prediction rule for falls: a systematic review and meta-analysis [Diagnostische Genauigkeit der STRATIFY klinischen Vorhersageregel bei Stürzen: eine systematische Übersicht und Meta-Analyse]. BMC Family Practice, 13, 76. PM  – 22870921 

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